Medizinstrafrecht: Was tun, wenn Polizei und Staatsanwaltschaft ermitteln?

Der Verfasser vertritt seit Jahren Klinik-Gruppen, Pflegeeinrichtungen und zahlreiche Einzelmandanten in Medizinstrafsachen und Bußgeldverfahren. Mit dem nachfolgenden Beitrag gibt er einen Überblick über die möglichen Verfahren und Hinweise, wie man sich als Betroffener verhalten kann.

1. Welche Sachverhalte können auftreten?

Medizinstrafrecht ist ein umfangreiches und vielfältiges Rechtsgebiet. Ärzte und Mitarbeiter im Gesundheits- und Pflegesektor sowie Apotheker sind einem überdurchschnittlichen Risiko ausgesetzt, dass ihre berufliche Tätigkeit Gegenstand strafrechtlicher- oder ordnungsrechtlicher Ermittlungen wird. Denkt man auf den ersten Blick zunächst nur an sogenannte Kunstfehler, so zeigt sich schnell, dass fast der gesamte berufliche Bereich gesetzlich geregelt und mit Strafvorschriften umstellt ist. Dies beginnt bei der Zulassung von Medizinprodukten, geht über das Verbot von Zuweisungen und reicht bis zur Verletzung der Schweigepflicht.

a) Körperliche Unversehrtheit

Todesfälle, etwa im Bereich der Geburtshilfe oder Kliniksuizide in der Psychiatrie sind häufig Gegenstand von Strafverfahren. Sie beginnen mit einem Todesermittlungsverfahren, welches dann zu Ermittlungen wegen des Vorwurfes der Fahrlässigen Tötung gemäß § 222 Strafgesetzbuch führen kann. Auch fahrlässige Körperverletzung (§ 229 StGB) und unterlassene Hilfeleistung (§ 323 c StGB) gehören zu den relevanten Delikten, wenn eine Heilbehandlung vermeintlich oder tatsächlich nicht kunstgerecht war oder Pflegemängel vorgeworfen werden.

b) Freiheitsberaubung

Die Fixierung von Patienten, etwa zur Sturzprävention, lässt sich in manchen Fällen nicht vermeiden. Geschieht sie jedoch zu extensiv oder ohne richterliche Genehmigung, so droht der Vorwurf der Freiheitsberaubung (§ 239 StGB). Dies kann bereits beim Anbringen eines Bettgitters der Fall sein.

c) Vermögens- und Korruptionsdelikte

In diese Fallgruppe gehört der Abrechnungsbetrug gemäß § 263 StGB. Er betrifft etwa die Abrechnung nicht erbrachter Leistungen aber auch von höchstpersönlich zu erbringenden Leistungen, die delegiert wurden. Hierzu gehören beispielsweise die Anamnese und Diagnose oder Leistungen des Wahlarztes nach § 4 Abs. 2 GOÄ.

Seit 2016 beschäftigen die §§ 299 a und b StGB (Bestechlichkeit und Bestechung im Gesundheitswesen) die Heilberufe. Dadurch sind zahlreiche Fälle der Kooperation im Gesundheitswesen problematisch geworden, weil fraglich ist, ob eine Unrechtsvereinbarung vorliegt und Leistung und Gegenleistung unlauter sind. Dies kann die Zuweisung von Patienten, die Ausgliederung des Nachsorgemanagements und selbst die kostenlose Verblisterung von Medikamenten für Großabnehmer betreffen. Die Rechtspraxis in diesem Bereich ist noch keinesfalls gefestigt, sodass erhöhter Beratungsbedarf im Einzelfall besteht, um einer Strafverfolgung vorzubeugen.

d) Schweigepflicht

Wer als Arzt oder Angehöriger eines Heilberufes, der eine staatlich geregelte Ausbildung erfordert, ihm anvertraute Privatgeheimnisse offenbart, setzt sich dem Risiko strafrechtlicher Verfolgung gemäß § 203 StGB aus. Dies kann bereits dann verwirklicht sein, wenn Patientenunterlagen an Ermittlungsbehörden weitergegeben werden oder das Ergebnis einer Blut- oder Atemalkoholuntersuchung Polizeibeamten zugänglich gemacht wird.

e) Medizinproduktegesetz

Instrumente, Apparate, Stoffe und Software, die für diagnostische und therapeutische Zwecke eingesetzt werden, sind durch das Medizinproduktegesetz (MPG) im Bereich des Inverkehrbringens und der Anwendung streng reguliert. Straf- und Bußgeldvorschriften untersagen etwa die Verwendung gefährlicher oder mit irreführender Bezeichnung versehener Produkte. Gleiches gilt bei der klinischen Prüfung von Medizinprodukten. Kommt es hier zu Ermittlungsverfahren, kann dies neben der Strafe auch ganz erhebliche finanzielle Auswirkungen haben, da Vermögensabschöpfung droht.

2. Welche ersten Schritte sind zu unternehmen?

Wem von Ermittlungsbehörden der Vorwurf einer Straftat oder Ordnungswidrigkeit gemacht wird, sollte unbedingt von seinem Recht zu Schweigen (§ 55 Strafprozessordnung) Gebrauch machen. Gerade im Bereich der Heilberufe empfiehlt es sich, einen spezialisierten Rechtsanwalt hinzuzuziehen, der Einsicht in die Ermittlungsakte nehmen kann. Nach Kenntnis der genauen Verfahrenssituation kann dann gemeinsam entschieden werden, ob und in welcher Form eine Stellungnahme abgegeben wird. Im Fall einer Stellungnahme ist es oft ratsam, rechtlich zu argumentieren und mit Sachvortrag zurückhaltend zu sein.

Immer wieder stellen Rechtslaien die Frage, ob Schweigen, Akteneinsicht oder die Zuziehung von Rechtsrat nicht „verdächtig“ wirke und ein offenes Gespräch mit den Polizeibeamten die Sache „schnell aufklären“ könne. Die Antwort ist in fast allen Fällen ein klares Nein! Der Bereich des Medizinstrafrechtes ist komplex und die relevanten Vorschriften auslegbar, sodass ein professionelles Management des Falles in der Regel zu deutlich besseren Ergebnissen führt. Für erfahrene Ermittlungsbeamte und Staatsanwälte ist es außerdem ein Zeichen von Souveränität, wenn sie merken, dass Betroffene nicht gedankenlos „drauflosreden“, sondern eine Stellungnahme wohldosiert und zum richtigen Zeitpunkt abgeben. Ob es ihnen auch gefällt, steht auf einem anderen Blatt.

Selbst wenn ein Angehöriger eines Heilberufes „nur“ als Zeuge zur Polizei geladen wird, empfiehlt es sich, vorher Rat einzuholen. Bereits die Antwort auf die Frage: „Hatten Sie an diesem oder jenem Tag Dienst?“ kann aus der Zeugenvernehmung eine Beschuldigtenvernehmung machen. Denn häufig gehen die Ermittlungsbeamten von einem Fehlverhalten aus, dass sie dann bei positiver Antwort beispielsweise dem diensthabenden Arzt anlasten. Daher gilt auch in einem solchen Fall: zunächst den Hintergrund abklären lassen und dann das weitere Vorgehen entscheiden.

3. Wie ist der weitere Verfahrensverlauf? 

Ist ein Ermittlungsverfahren eingeleitet, entscheidet ein Staatsanwalt, wie das Verfahren endet. Entweder er erhebt Anklage (§ 170 Abs. 1 StPO) oder er stellt die Sache mangels hinreichenden Tatverdachtes ein (§ 170 Abs. 2 StPO). Darüber hinaus stehen noch Zwischenformen wie das Absehen von der Verfolgung wegen Geringfügigkeit (§ 153 StPO) und die Einstellung gegen Auflagen (§ 153 a StPO) zu Verfügung. Die Verfahren werden in der Regel von erfahrenen und spezialisierten Dezernenten geführt, was den Vorteil hat, dass sie gute Argumente erkennen und entscheidungsstärker sind. Gleichwohl dauern die Verfahren oft mehrere Monate oder Jahre.

Aufgabe des Rechtsanwaltes ist es, zunächst gründlich die Verfahrenssituation abzuklären. Dazu gehört zwingend die Einsicht in die Ermittlungsakte sowie alle Beiakten und Beweismittelordner. Je nach Fall kann es auch ratsam sein, selber Zeugenbefragungen durchzuführen. Sodann ist mit dem Mandanten die zentrale und manchmal folgenschwere Entscheidung zu treffen, nämlich ob eine Freispruchverteidigung oder Strafmaßverteidigung durchgeführt wird.

Liegt eine erdrückende Beweislage vor, ist es in der Regel klüger, strafmildernde Faktoren in den Mittelpunkt zu rücken, statt auf verlorenem Posten zu kämpfen. Hier stehen so viele und auch wirkungsvolle Instrumente zur Verfügung, dass es fahrlässig wäre, mit einer falschen Strategie diese Instrumente stumpf werden zu lassen.

Deutlich häufiger ist jedoch in Medizinstrafsachen die Konstellation, dass eine Freispruchverteidigung zu wählen ist. Geradezu klassisch ist, wenn mit eigener Argumentation oder einem Privatgutachten untermauert wird, dass die ärztliche Behandlung kunstgerecht war und daher keine fahrlässige Tötung oder Körperverletzung vorliegt. Aber auch eine ordnungsgemäße Rechtsanwendung oder die Prüfung, ob das vorgeworfene Verhalten überhaupt vorsätzlich oder fahrlässig war, kann zu einer erfolgreichen Beendigung des Ermittlungsverfahrens führen.

Tritt der Fall ein, dass die Staatsanwaltschaft Anklage erhebt, hat das zuständige Amts- oder Landgericht im Zwischenverfahren zu prüfen, ob es das Hauptverfahren eröffnet. Während dies in anderen Bereichen des Strafrechtes fast standardmäßig passiert, finden sich im Bereich des Medizinstrafrechtes überdurchschnittlich viele Fälle, in denen das Gericht die Eröffnung des Hauptverfahrens ablehnt. Insofern kann es je nach Fall sinnvoll sein, mit einer fundierten Argumentation bereits die Zulässigkeit der Anklage in Frage zu stellen.

Falls das Hauptverfahren eröffnet wird, führt das Gericht eine Hauptverhandlung mit Beweisaufnahme durch. Diese ist in Medizinstrafsachen in der Regel von überdurchschnittlicher Gründlichkeit und Sachlichkeit geprägt. Mit dem Mandanten sind in einem solchen Fall transparent die Prozessstrategie und alle Einzelheiten von Kleiderordnung bis Aussageverhalten zu erörtern. Und dann ist souverän zu kämpfen!

Zum Abschluss: Ein Strafverfahren ist für den Betroffenen mit verständlichen Emotionen und Ängsten verbunden. Vergleichbar sicher mit den Gefühlen eines Patienten, der zum Zahnarzt oder sogar zu einer stark eingreifenden Behandlung „muss“. Eine fachlich sichere, transparente und einfühlsame Begleitung kann diese Belastungen im Strafverfahren erheblich mindern. Die große Mehrheit der Verfahren im Bereich der Heilberufe endet erfahrungsgemäß mit einer Verfahrenseinstellung oder einem Freispruch.

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